Digitales Selbstcoaching mit Chatbots – kommt jetzt das Coaching für alle? Interview mit evoach-Gründerin Rebecca Rutschmann

Rebecca Rutschmann, Anke Paulick und Pawel Herman von evoach

Rebecca Rutschmann, CEO und Founder von evoach, begann vor 12 Jahren ihre Coaching-Karriere und fing vor 3 Jahren an, das Coaching mit Einsatz eines Chatbots zu revolutionieren. Mittlerweile haben mehr als 200 Personen die von evoach entworfenen Module ausprobiert und mehr als 90% haben diese mit mehr als 8 von 10 Punkten als hilfreich und zielführend bewertet. Aktuell werden auf der Plattform 4 Themen im Einzelcoaching (Konflikte lösen, Feedback vorbereiten, Lösung finden und bald Entscheidung finden an) und 4 Themen im Teamcoaching (Basis, Team-Status, Team-Feedback, Team-Reflexion) angeboten.

Hr|tomorrow: Liebe Rebecca, wie bist du denn ursprünglich auf die Idee gekommen, Coaching ohne Coaches anzubieten?
Rebecca: Aufhänger war damals meine Abschlussarbeit der Coachingausbildung zum Thema Online Selbstcoaching. Für mich war immer klar, dass es einen niedrigschwelligen Einstieg für Leute ins Coaching braucht – nicht erst einen Coach suchen, googlen, anfragen, Preis aushandeln.. Da war mir die Einstiegshürde zu hoch und der Markt ist sehr intransparent.
Es gibt eine neue Studie, die besagt, dass der Großteil der „normalen“ Coachingklienten ausschließlich über Empfehlungen kommt, weil die Qualitätskriterien eben so undurchsichtig sind. Und in Unternehmen stand Coaching meist nur für FK zur Verfügung, obwohl die MA häufig diejenigen sind, die am meisten leiden. Aber jedem MA einen eigenen Coach zur Seite zu stellen wäre wirtschaftlich nicht tragbar.

Vor fast 3 Jahren haben wir also mit ein paar Coaching-Freunden die ersten design sprint Abende hingelegt und daraus ist der Vorläufer von evoach entstanden. 5 Feierabende haben wir gebraucht, mein Mann war auch dabei, der macht Organisationsentwicklung. Wir haben uns abends um 17 h getroffen, Babysitter organisiert und bis nachts um 23 h durchgedacht. Danach hatten wir einen ersten Prototyp. Damit bin ich dann zur Female Founders Night – was als PreLab des IT Inkubators empfohlen wurde. Da haben wir uns dann beworben und sind genommen worden und dort haben wir an unserem Geschäftsmodell gearbeitet – mit Business Modell Canvas u.ä., und am Ende einen Pitch um in das CyberLab zu kommen – den haben wir dann gewonnen und dann haben wir im Herbst direkt im Inkubator begonnen daran zu arbeiten. 4 Monate lang haben wir User-Testings durchgeführt und viel Paper-Prototyping mit der zentralen Frage: Können sich die Leute damit auch wirklich selber coachen?

Hr|tomorrow: …Denn Selbst-coaching ist ja auch im realen Raum nicht unbedingt üblich…?
Rebecca: Die meisten Selbst-coaching-Ratgeber sind ehrlich gesagt gruselig, gerade für Leute, die gar keine Coaching-Erfahrung haben. Daher der Gedanke eines Bot, dem man wirklich eins zu eins folgen kann.

Hr|tomorrow: Und wie lange hat es gedauert, den Bot fertig zu entwickeln?Rebecca: Letztes Jahr im Herbst die erste marktreife Version raus –ab Februar haben wir unser Beta gestartet, dann die Teamlösung. Und demnächst kommen noch zwei neue Module Anfang November raus.

Hr|tomorrow: Wie ist denn die Akzeptanz seitens des Markts? Wer nutzt das Produkt aktuell? (Start-Ups oder Großkonzerne, Mitarbeiter oder FK, digital natives oder Gen x, y, z)?
Rebecca: Wir haben bewusst Themen gewählt, die für alle relevant sind wie Konflikte, Feedbackgespräche. Aktuell bieten wir keine Führungsthemen an, sondern lieber Themen, die für alle wichtig sind sowie Entscheidungen treffen, Work-Life-Balance, Stärkenanalyse – wir wollen das Coaching ja demokratisieren und für FK gibt es momentan schon so viel auf dem Markt.
Unternehmen die uns nutzen, sind in der Regel Unternehmen mit einer gewissen Größe, sodass sie eine vernünftige HR-Abteilung haben und schnell wachsende Digital-Unternehmen oder große Unternehmen, weil unser Produkt es ja erlaubt, zu skalieren.

Hr|tomorrow: Ist das denn wissenschaftlich belegt, dass das hilft?
Rebecca: Auch für normales Coaching gibt es wenig Studien zur Effektivität und Wirksamkeit. Es gibt die Coachingumfrage, aber das ist ja keine Studie… Das hat uns ein bisschen genervt, weshalb wir uns da einen Masteranden gesucht haben, der das mal untersucht.

Hr|tomorrow: Und ihr habt ja auch eure eigene Wirksamkeitsstudie ins Leben gerufen. Liegen da schon erste Ergebnisse vor?
Rebecca: Da sind wir gerade bei der Auswertung. Für Personaler ist es wichtig zu sehen, dass wir es schon mit X Leuten durchgearbeitet haben und Ergebnisse vorliegen. 30 Leute haben es bisher abgeschlossen von über 120 Teilnehmern, die es angefangen haben. Wie bei einem echten Coaching muss man hier auch einiges an Zeit und Aufmerksamkeit investieren, um zu reliablen Ergebnissen zu kommen. Aber es wird.

Hr|tomorrow: Wie hast du die letzten Monate erlebt – Stichwort Corona:  War das der nötige Push in die richtige Richtung oder ging es dann vermutlich doch ein bisschen zu schnell zu digital?
Rebecca: Sehr ambivalent, es beschleunigt die Digitalisierung. Wir haben oft gehört „das geht nicht, das kann man nicht machen. Man kann Coaches nicht ersetzen“… und seit Corona hören wir das kaum noch.
Aber tatsächlich sind die Verkaufszahlen seitens HR-Abteilungen nicht wirklich in die Höhe geschnellt, viele waren plötzlich monatelang abgetaucht. Jetzt fängt es wieder langsam und vorsichtig an.
Und HR ist ja leider oft nicht der Digitalisierungstreiber im Unternehmen… Obwohl sie das sein sollten. Gut, das ändert sich jetzt auch langsam, aber oft wir HR noch so als „nice to have“ im Unternehmen betrachtet. Aber insgesamt denke ich, dass die Leute durch Corona offener für digitale Transformationen geworden sind, als sie es noch vor einem Jahr waren.

Hr|tomorrow: Haben die Leute überhaupt Lust, sich nach X Stunden Bildschirmzeit nochmal hinter den Rechner zu klemmen, um an sich selbst zu arbeiten oder gibt es da Vorbehalte?
Rebecca: Nee, sowas habe ich noch nicht gehört. Viele leiden eher unter dem Format „Video Conference“ – bei einem Chat-Bot kannst du im eigenen Tempo weitermachen und arbeiten, das ist angenehmer. „Echtes“ virtuelles Coaching als Video-Format ist da sicherlich anstrengender. Wir arbeiten mit auditiven, gamifizierten Inhalten und Songs und Gedankenreisen, das hilft auch beim „runterkommen“. Und nach einem typischen Home Office Tag hat man tatsächlich auch keine Lust mehr auf Videos gucken o.ä. Aber die Leute nehmen sich aber zu Hause auch mehr Zeit für solche Themen wie Selbstreflexion, auch weil sie ungestörter sind als im (Großraum-)Büro – das spielt uns da in die Karten.

Hr|tomorrow: Welche Vorteile siehst du in einer Plattform wie evoach ggü. Anderen digitalen Coachingformaten wie bspw. Sharpist und Coachhub?Rebecca: Diese bieten eine klassische Plattform um Coach und Coachee zu vermitteln. Sie bieten dem Personaler eine Erleichterung, weil sie sich nicht mehr um Coaching-Pools etc kümmern müssen. Da geht es darum, Coaches und Klienten zusammen zu bringen und evtl. noch die Nachhaltigkeit mit Micro-Learnings zu verknüpfen. Wir hingegen wollen einen wirklich niedrigschwelligen, sofortigen Einstieg ins Coaching ermöglichen, unabhängig von Zeit und Raum. Bei uns kommen die Leute allerdings irgendwann an eine Grenze – wo sie eventuell mit einem echten Coach weiterarbeiten müssen. Dann kannst du danach aber wesentlich effektiver mit einem Coach im Nachgang arbeiten, weil du das Thema schon eingegrenzt und beschrieben hast.
Wir planen auch eine Art „Call a Coach-Button“, eine Art Level-2-Support, wenn man mit dem Bot nicht mehr weiterkommt. Dem Coach würden dann die geschriebenen Einträge zur Verfügung gestellt, sodass er auch deutlich schneller auf das eigentliche Problem zu sprechen kommen könnte.

Morgen und nächste Woche finden übrigens die nächsten digitalen Sprints dazu statt. Da haben wir immer das Ohr am Markt. Und unser Ziel ist es ja, Coaches zu empowern und nicht zu ersetzen.
Aber nochmal zu den digitalen Coaching-Plattformen, die gerade wie Pilze aus dem Boden sprießen: Die „klassischen“ Coaching-Plattformen wollen teilweise 35% der Einnahmen, dafür dass sie ein Video-Conferencing Tool bereitstellen. Sie lösen nicht den Pain der Coaches sondern den der Personaler. Viele Coaches haben auch Angst vor Ausbeutung seitens dieser Plattform. Uns bewegt wie man Coaches empowern kann mit digitalen Tools. Ich persönlich finde die aktuelle Tendenz im Markt eher bedenklich.

Hr|tomorrow: Und was sagen die Coaching-Verbände wie bspw. Der ICF oder der DBVC zu solchen Tools?
Rebecca: Ein Großteil der Verbände unterstützt diese neuen Formate wenig bis gar nicht. Sie sind da bis auf wenige Ausnahmen wie den ICF eher Hemmschuh, weil sie den „Trend“ Digitalisierung nicht mitmachen wollen. Meiner Meinung nach sind die Verbände wichtig, wenn es um Neutralität, Bewertung der Qualität und vor allem um das Thema Ethik geht. Sie müssen aber definitiv aufpassen, dass ihr Hauptgeschäft, die Zertifizierungen, nicht von den Plattformen zukünftig übernommen werden…

Hr|tomorrow: Vielen Dank dir, Rebecca, für diese tollen Einblicke in ein spannendes Tool und Format. Wer sich für einen Einstieg ins digitale Selbstcoaching interessiert, ist herzlich eingeladen, auf https://www.evoach.me/ vorbeizuschauen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.